Mittwoch, 31. Juli 2013

Ein Tag in der Einsatzstelle



In den vergangenen Wochen war ich so beschäftigt, dass ich einen längst fertiggeschriebenen Eintrag nicht laden konnte. Ich bin nun zwar schon seit einigen Tagen zurück in Deutschland, wollte nun aber meinen Bericht nicht einfach so "verstauben" lassen.
Falls ihr die nachgelieferten Bilder der Elefanten, Büffel, und so weiter noch nicht gesehen habt, schaut noch mal die letzten 2 Einträge an.







Meinen Einsatz im Projekt hatte ich, wie schon beim letzten großen Bericht, in der Entbindungstation. Nach fast 3 Monaten wurde ich zur Female Ward versetzt, danach Community Health- Gemeindegesundheit und nun OPD- Aufnahme. Ich verabschiedete mich also von meinen lieb gewonnenen Kolleginnen und Kollegen.

Einer der Arbeitstage auf der Station, quasi in Elementarteilchen aufgespalten:
  

Die Kinder essen am liebsten auf dem Boden sitzend..

Augustin mit seinem Kakao und Brot

7.40 Uhr:     Nachdem ich morgens mit meiner Gastfamilie Weißbrot mit Schwarztee frühstücke, der meinen ersten Schweißausbruch einläutet, starte ich den zwanzigminütigen Arbeitsweg. Ich verabschiede mich von meiner Familie und den Nachbarn: "Me kc edjuma"- Ich geh' zur Arbeit! -> "Yoo, kc bra!" Okay, geh' und komm'! Zuerst schlängle ich mich an der hektischen Straßenkreuzung vor der Wohnung zwischen Verkauferinnen und Taxen vorbei. Einige Schritte weiter hat ein Tro- Tro bei der Passagiersuche viel zu dicht an der metertiefen Abwasserrinne geparkt und zwingt mich dazu, dazwischen auf dem Bordstein zu balancieren. Geschafft ohne reinzufallen- ich gehe weiter den Berg zum Gyetchi Market hinauf, dessen Verkäuferinnen nach und nach ihre Stände aufbauen und ihre schweren Waren aus Taxikofferräumen laden. Die Steigung und die Hitze, die schon jetzt deutlich zu spüren ist, geben mir das Gefühl die Kondition einer übergewichtigen Achtzigjährigen zu haben. Hinter der Abzweigung zum Markt führt mich die von kleinen Containerläden gesäumte Straße zum nächsten Markt, dem Mandela Market, hinunter. Mandela, weil es dort so friedlich zuginge wie das Gemüt des südafrikanischen Ex- Präsidenten es sei, hat mir mal jemand erklärt. Einige Lehrlinge der Schneidereien haben begonnen, die kleinen Eingangsbereiche zwischen den Nähmaschinen zu fegen. Im nächsten Laden werden Seife um Seife, Cremetube um Cremetube und Tomatenmarkdose um Tomatenmarkdose präzise zu kleinen Pyramiden gestapelt. Heute ist Donnerstag- also Markttag. Zahlreiche Verkäufer_innen finden sich an den umliegenden Straßen und auf dem Marktplatz selbst ein. Hinter dem Supermarkt, der im Dezember durch einen elektrischen Kurzschluss bis auf die Grundmauern niedergebrannt ist, biege ich zur Hinterseite des Marktes ein. Kinder auf ihrem Schulweg grüßen mich mit " Good morning, Madame." oder " Ooooooburoni!!" während Händler_innen große Schalen mit Gemüse, Kokosnüsse, Zuckerrohr und  Alt- oder Neukleider an der Markmauer aufreihen. An der nächsten Kreuzung zeigen mir die versammelten Schafe und Hunde an, dass sich der große Müllcontainer dort wieder in eine kleine Müllhalde verwandelt hat.. obwohl die Containerumgebung oft gefegt und aufgeräumt wird.  Mit angehaltenem Atem und fixiert skeptischem Blick auf die eigentlich harmlosen Straßenhunde biege ich in den Pfad, der hoch zum Krankenhaus führt.

7.55 Uhr:     Während ich das Krankenhausgelände betrete, treffe ich Kollegen, die auch gerade zum Dienst kommen- Smalltalk im Gehen. Schon aus einigen Metern Entfernung höre ich einen Priester in einer Lautstärke predigen, die zu dieser Uhrzeit ziemlich unchristlich ist. Eine große Gruppe von schwangeren Frauen sitzt dem aufgeregt predigenden Mann auf Bänken vor der Station gegenüber und wartet, "Amen!" an den richtigen Stellen rufend, auf das Eintreffen der Krankenschwestern. In ungefähr einer halben Stunde gehen sie dann zur benachbarten Schwangerschaftsvorsorgeabteilung.

Die Entbindungsstation

 8.00 Uhr:     Bei Betreten der Station begrüße ich die Schwestern, die bereits da sind und fleißig Schreibkram erledigen oder Wattetupfer rollen. Die Oberschwester grüßt mit einem strengen " Good morning, Abena!", lacht mich dann aber doch an. Auntie Anni, die von ihren Kollegen auf ghanaisch- unverfrorene Art Auntie Obolo- "Tante Fett"- genannt wird, steht daneben und studiert Akten. " Good morning my Sister!" ruft sie. Anni ist diejenige, an deren mütterlichen Lächeln niemand vorbei kommt, ohne nicht davon angesteckt zu werden. Sie strahlt eine permanente Ruhe aus, verstärkt durch ihr immerwährendes Summen. Scheinbar mühelos betreut sie täglich die Nachsorge der Neugeborenen und wacht als Dienstälteste über der Geburtshilfe. Die zwei Chefinnen sitzen unterdessen am Schreibtisch im Eingangsbereich und managen alle Aufgaben der Station mit ca. 60 Betten- Aufnahmen, Entlassungen, Notfälle, Visiten, Medikamentenbestellungen usw. in jahrzehntelanger Routine. Die Nachtschwestern geben noch Informationen zu den Patientinnen und im Anschluss teilen wir uns auf- normale Stationsarbeit/ Visite/ Geburtshilfe, soweit anfallend/ tägliche Wundpflege für Frauen nach dem Kaiserschnitt/ Nabelschnurpflege der Neugeborenen/ Baden aller Neugeborenen/ Medikamente aus der Apotheke holen und so weiter.

Auntie Annie und ich an meinem letzten Tag
Die Chefinnen und ich


 9.00 Uhr:    Der Gynäkologe Dr. Dzuzube ( gespr. Dschudschubi) kommt zur Visite. Er ist einer der 3 Ärzte des Krankenhauses, medizinischer Leiter, chronisch Überarbeitet aber kann jeder Situation einen Scherz abgewinnen. 24/7 ist er für den OP und die Entbindungstation verantwortlich, Wochentags hat er zwischen den Visiten gynäkologische Sprechstunden. Zu seinem Nachteil fallen, ungeachtet der Tageszeit, häufig geplante aber auch notfallmäßige Kaiserschnitte an. Mal liegen die Kinder nicht in der richtigen Position für die natürliche Geburt und sie müssen auf diese Weise auf die Welt kommen. Es gab Nächte, in denen Dr. Dzuzube die halbe Nacht operierend verbrachte und anschließend morgens vollkommen übermüdet zur Visite kam, um 2 neue potentielle Kaiserschnittpatientinnen anzutreffen. Zu seinen geplanten Operationen gehören auch die Entfernung von gutartigen Tumoren der Gebährmutter( Myomektomie) und die Entfernung der Gebärmutter selbst.  
Während der Visite schickt Dr. Dzuzube alle Frauen, die geburtstechnisch "überfällig" sind, zu den 2 Geburtsräumen.
Inzwischen hat sich dort eine Schlange von ca. 20 Frauen gebildet. Akribisch schaut er sich jede Einzelne im Geburtsraum an: Vermessung des Bauches, Ertasten der Lage des Fötus, Abhören der Herztöne des Kindes, Ertasten des Geburtsstadiums( Muttermund) und meistens folgt dann die Einleitung der Geburt mit einem Medikament.
Da die Frauen mit eingeleiteter Geburt während meiner Schicht vorerst in den Wehen liegen, helfe ich beim Baden der Kinder, was den halben Vormittag in Anspruch nimmt. Danach hole ich ein paar Medikamente von der Apotheke.




 
Babybad

12.30 Uhr:    Mein an ghanaisch riesige Portionen gewöhnter Magen ist komplett ausgedorrt- Essen muss her. Ich ziehe mich schnell um und kaufe mir Reis und frisch geschnittene Mango an der Straße vor dem Krankenhaus. Beim Verlassen des Geländes treffe ich den Torwächter:
     Er: Wo ho y3?(Wie geht's?)
-> ich: Me ho y3 paaa! Na wo nsu'3? ( Sehr gut, dir?)
-> Bckcc. Na wo kc h3?( Gut. Wohin gehst du?)
-> Me kc didi. Me'kwaaba, ouai? ( Ich geh' essen. Ich komm gleich wieder, okay?)
-> Yoooo, kc bra! ( Okay, geh' und komm'!)

( Ob das alles so geschrieben wird- keine Ahnung..)
Ich freue mich über meine Krümel an Fantisprachkenntnissen und er lobt mich mit einem " Very good!".

13.00 Uhr:     Zurück auf der Station- die erste Frau ist bereit zur Geburt. Ich lege die Materialien bereit, schaue der Hebamme bei der Geburtshilfe zu und säubere das Neugeborene dann, bevor ich es wiege. Ein angelegter Dammschnitt muss genäht werden und es bedarf einigen Zuspruches, als die frischgebackene Mutter die große Nadel sieht. Nachdem Mutter und Kind versorgt sind, bringen wir sie zu ihrem Bett und
säubern das "Geburtszimmer".

Entbindungsraum


Hilfsmittel- Messen des Bauchumfangs, Abhören der kindlichen Herztöne, Einstufen des Geburtsvorgangs

14.00 Uhr: Schon ist unsere Frühschicht vorbei und die nächsten Schwestern kommen zur Ablösung. Ihre Pünktlichkeit kann allerdings sehr variieren. Die eine Kollegin kommt 5 Minuten früher, die nächste verspätet sich um 40 Minuten. Beim "ghanaian Way of Life" kein Problem, jede Schwester kommt dann und wann zu spät und niemand beschwert sich, wenn er oder sie statt eigentlich 14 Uhr erst eine Stunde später gehen kann weil vorher nicht genügend Personal da ist.

14:30 Uhr:      Ich besuche eine befreundete Familie in deren Bäckerei vor dem Krankenhaus. Nachdem auch ihr Gastsohn von der Einsatzstelle kommt, schenkt seine Mutter uns ein Stück selbstgebackenes Brot und eine Fanta. Wir tauschen uns über Krankenhausalltag und Schulalltag aus und als ich dann nach Hause gehen möchte, fängt es plötzlich an wie aus Kübeln zu regnen- schließlich ist es Mai und Regenzeit. Wir warten über eine Stunde darauf, dass es aufhört- mal legt sich der Regen und es wird heller, da zerreißt ein neuer Blitz den Himmel, gefolgt von einem knallenden Donner und der Regen verstärkt sich wieder bis man nur noch wenige Meter weit sehen kann. Ab und zu springen vollkommen durchnässte Schulkinder unter das schützende Bäckereidach um dann wieder in den Regenbach zu springen, der sich neben der Straße gebildet hat.

Sissy Ma' Abena vor ihrer kleinen Bäckerei- da ließ sich der bevorstehende Regen noch nicht erahnen

David- einer der Mitarbeiter der Bäckerei

15.30 Uhr:     Ich gehe auf matschigen Sandwegen zum Mandela Market, um nach Stoffen für eine neue Hose zu schauen, die ich mir schneidern lassen möchte. Mit einem neuen traditionellen Batik Stoff gehe ich nach Hause,wo ich hastig meine Sachen zum Waschen zusammensammle. Wenn es regnet, stellen die Familien im Compound ihre Schüsseln und Eimer auf den Innenhof, sodass das vom Dach rinnende Wasser gesammelt werden kann. Zwar fange ich viel zu spät an zu waschen- es wird ja schon 18.30 Uhr dunkel. Dafür kann ich mir das Gerenne zum Wasserhahn und zurück für das Waschwasser sparen, da nach dem Regen auf dem ganzen Compound Schüsseln voller Regenwasser stehen, von denen ich mir genügend abschöpfen kann. Wir nutzen das gesammelte Regenwasser übrigens auch zum Duschen, wenn das Wasser mal abgestellt wurde.

19.00 Uhr:     Von Moskitos gepiesackt und mit wunden Fingern, weil zu viel Waschpulver in der Waschschale gelandet ist, kann ich endlich essen gehen. Meine Schwester Liesbeth hat Yam und Kontomre, eine Sauce aus Kokoyamblättern, gekocht. 10 Kinder sitzen auf Couch und Boden und schauen gebannt auf das Kinderprogramm, das gerade zum zehnten Mal seit ich hier bin " Spy Kids" zeigt. Dementsprechend sind die Kinder relativ Textsicher dabei mitzusprechen, bis meine große Schwester kommt und den Sender wechselt. Ab jetzt wird ein nigerianischer "Nollywood"- Film angesehen. Zum Glück, denn meist schauen wir ghanaische Filme auf Twi und ohne Untertitel, bei denen ich mich schnell in mein Zimmer verabschiede. Im Film den wir heute sehen geht es, wie so oft, um Liebe, Intrigen, reiche und nicht so reiche Menschen.

19.30 Uhr:     Entschlossen, endlich mal wieder einen Eintrag für meinen Blog zu schreiben, setze ich mich mit dem Laptop in mein Zimmer.

22.00 Uhr:     Mit Rückenschmerzen vom langen Sitzen gehe ich noch schnell Duschen. Das Leitungswasser ist eiskalt. Zurück im Bett frage ich mich, wie ich die deutschen Temperaturen aushalten soll und spiele mit dem Gedanken, mir einen Schneeanzug für den Herbst zu besorgen... Ich schlafe bei Grillenzirpen und leisen Bässen des nahen Spots ein.

24.00 Uhr:    Das Bellen der Straßenhunde unter unserem Fenster und der Wechsel zwischen lautem Klingelton und Telefongesprächen meiner Schwester raubt mir sowohl Schaf als auch Nerven.. Zum Glück finde ich noch ein Paar Ohrstöpsel in meiner Tasche.

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