Sonntag, 13. Oktober 2013

Abschied




Der Abschied in und von Ghana, meiner (Gast-) Familie, meinem neuen Zuhause, meinen Freunden, KollegInnen und meinem Alltag in der Einsatzstelle, ist bereits 2 1/2 Monate her.
In 11 Monaten hatte ich die gesamten Mitarbeiter eines Krankenhauses kennengelernt- vom Pflegepersonal über Reinigungkräfte bis hin zu den Torwächtern. Ich versuchte mein Bestes, um wirklich jedem von ihnen nocheinmal persönlich „Tschüss“ zu sagen.

Das Team der Notaufnahme

Mit der Chefin der Kinderstation

Die Mitarbeiter der Wäscherei

Mathilda aus der HIV- Abteilung

Am letzten Wochenende vor meiner Abreise wollte ich meiner Familie und meinen Freunden im Haus einen schönen Abschied machen. Dazu luden Juli und ich zu einem gemeinsamen Tag am nahegelegenen Strand in Winneba ein. Die Kinder hatten noch nie zuvor das Meer gesehen- und das, obwohl sie eine knappe dreiviertel Stunde davon entfernt wohnen. Besonders glücklich machte mich, dass sich damit meine Schwester Liesbeth, die als Haushaltshilfe und Schneiderin kaum Freizeit hat, genauso wie meine Nachbarskinder und Freunde Sarah, Sergy und Henry, die jeden Tag nach der Schule abwechselnd ihrer Oma und ihrer Mutter beim Verkaufen auf dem Markt helfen, eine Auszeit vom Alltag nehmen konnten.
Als sich uns die Sicht auf den Atlantik bot, waren die Kinder sprachlos. Nie zuvor hatten sie so etwas gewaltiges und fürchteinflößendes gesehen. Dann fragten sie aufgeregt- Wie groß ist das? Kann man auf die andere Seite schwimmen? Was ist auf der anderen Seite? Ist das Wasser tief? Gefährlich?... Am Sandstrand angekommen warfen sie schnell ihre Sachen auf einen Haufen und liefen durch den weichen Sand, lasen Muscheln vom Boden auf, spielten Ball und rannten um die Wette. Die Wellen waren für die Kleinen zum Baden zwar zu hoch und die Strömung zu stark, aber Winneba hat einen unter Nichtschwimmern beliebten Naturpool, in dem sie dann zum ersten mal in's kalte salzige Meerwasser steigen konnten. Die Wellen führten dem Becken dabei von der dem Meer zugewandten Seite neues Wasser zu, das dann gegenüberliegend durch eine Aussparung in der Beckenwand ablaufen konnte. So blieb das Wasser gleichbleibend bauchtief. Mit einer Mischung aus Freude und Angst ließen sich die Kinder erklären, dass sie nur hüpfen bräuchten, um einer Welle zu entkommen. Trotzdem schrien sie bei jeder nahenden Welle und umklammerten die größeren von uns.

Während einige im Pool spielten und sich im Tauchen oder Schwimmen übten, buddelten sich andere gegenseitig im Sand vor dem Pool ein. Nach ein paar Stunden waren einige Kinder vom kühlen Wasser und dem Seewind so durchgefroren, dass sie sich bibbernd in ihre Handtücher einwickelten.
Auch wenn ich nicht alle mitnehmen konnte, die ich hatte mitnehmen wollen, war es ein wunderschöner letzter Ausflug und ich hoffe, dass er auch den Familien und Kindern lange in Erinnerung bleiben wird.





Unsere Gastmütter, Linda und Sissy, entspannen






Am nächsten Tag bereiteten Liesbeth, Juli und ich Pfannkuchen für unser Haus vor, in dem insgesamt circa 50 Menschen leben. Dass ich viele Nachbarn hatte war mir zwar immer klar, aber das mich zu Hause so viele Menschen umgaben, war dann doch eine Überraschung. Wir verbrachten Stunden damit Teig anzurühren und zu braten. Anschließend teilte Liesbeth die fertigen Pancakes mit einem Fruchtsaft für Jeden aus. Da sie dabei sehr großzügig war, leerte sich die Schale so schnell, dass für uns „Köche“ am Ende nur Reste blieben. Weil wir schon beim Braten unheimlich hungrig wurden, waren unsere Blicke in den fast leeren Behälter dementsprechend traurig. Als unsere Nachbarn das sahen, holten sie selbstgebackene Fleischkuchen für uns. Und zwar so viele, dass wir nur die Hälfte essen konnten. Nachdem sich alle gestärkt hatten, wurde zur Musik getanzt, die mein Vater über seine Lautsprecher in der Wohnstube abspielte. Leider sollten sie aber ausgerechnet an diesem Tag ihren Geist aufgeben und so fand der Tag einen ruhigen Ausklang.
Am Abend schauten wir uns gemeinsam die Bilder an, die ich in den vergangenen 11 Monaten von uns gemacht hatte. Immer wieder brachen wir in schallendem Gelächter aus, meistens über Sergy, der sein Gesicht zu den schrägsten Grimassen verzieht, sobald er eine Kamera sieht.









Meine selbstgebastelten Abschiedsgeschenke mit Muscheln vom Strand für die Kinder





Meine Nachbarin Madame und ich



Henry und ich
Den eigentlichen Tag meines Abschieds verbrachte ich damit, meine Taschen zu Ende zu packen. Und zwar sehr langsam, denn ich wollte so lange wie möglich vermeiden in den Innenhof zu gehen, in der Hoffnung, bei einem kurzen Abschied nicht weinen zu müssen. Es gehört sich für Erwachsene nämlich nicht, zu weinen. Als dann mein Taxi zur Busstation vor dem Haus wartete, wurde der Kloß in meinem Hals immer größer. Besonders der Abschied von Henry, meinem besten kleinen Freund, fiel sehr schwer.
Als mir dann doch ein paar Tränen über die wangen kullerten, zog mich Liesbeth teils mitfühlend, teils belustigt zum Taxi.

Von meinen Wochenendreisen weiß ich, dass sich die Meisten aus Abschieden wenig machen. Dafür ist jeder Empfang ein Fest.




Das Jahr in Ghana war für mich, besonders rückblickend betrachtet, eine sehr bereichernde Erfahrung.  Ich konnte mir einen Einblick in ein sogenanntes Entwicklungsland verschaffen; wurde von einer sehr weltoffenen Familie aufgenommen, die nicht müde wurde mir die Welt neu zu erklären. Ich konnte nicht nur Teil einer wundervollen Familie, sondern auch einer sehr freundlichen, großen, vielfältigen Wohngemeinschaft werden, in der mir jeder Mensch ein Freund wurde und jederzeit ein offenes Ohr bot. Im Krankenhaus lernte ich Flexibilität, Gelassenheit und Offenheit. Beginnend mit einem großen Tatendrang gelang ich über Resignation eigener, egoistischer Vorstellungen zu großer Anerkennung für die Arbeit meiner KollegInnen.
Hatte ich anfangs noch die Vorstellung, als gelernte OTA in einem ghanaischen Krankenhaus- OP arbeiten und „helfen“ zu können, so wurde mir eine Erfahrung zuteil, die für viele MigrantInnen in Deutschland bitterer Alltag ist- du hast deinen Abschluss nicht in dem Land gemacht in dem du jetzt bist, also hast du hier auch keinen.
Ich war in diesem Jahr wieder Lernende- das war auch gut so. Der Einsatz war eben keine „Hilfe“, sondern ein Austausch, bei dem ich einiges gelernt habe.

Was ich natürlich nicht außer Acht lassen möchte und nach den vielen Berichten kaum noch kann, sind die vielen kleineren und größeren Reisen, die ich durch Ghana machen konnte. Ich habe sehr schöne Orte gesehen und sie mit Menschen bereist, die mir sehr ans Herz gewachsen sind.

Der Grund, den Einsatz als entwicklungspolitischen Freiwilligendienst zu bezeichnen, war mir in Ghana lange schleierhaft- schließlich bewirkt ein Freiwilliger mit seinem Einsatz kaum längerwährende Veränderungen.  Nachdem ich jetzt aber wieder zurück in Deutschland bin, wird mir bewusst, wie viel Potential die neuen Erfahrungen mit sich bringen und was sie in mir bewirken.
Das Wissen, dass ich sowohl beim Freiwilligendienst selbst als auch bei den sehr hilfreichen Seminaren davor und danach erlangt habe, möchte ich auf meinen Alltag in Deutschland übertragen.
So werde ich ( hoffentlich) eine Ausbildung zur Multiplikatorin im Bereich entwicklungspolitischer Themen absolvieren und anschließend an Projekttagen verschiedener Schulen mitwirken können. Außerdem möchte ich mich bei der Hausaufgabenhilfe in der Rostocker Asylbewerberunterkunft einbringen.